Seitdem die massenhafte Reproduktion von Kunstwerken technisch möglich geworden ist, überschwemmt das, was Malraux unser „imaginäres Museum“ nannte, die Augen und Gehirne der Menschen mit einer bislang ungekannten Bilderflut. Lässt sich dabei ein Fernsehbericht noch jederzeit ausschalten, die Werbung in einer Illustrierten zuschlagen, gibt es im öffentlichen Raum kein Entkommen mehr. Litfaßsäulen, Großposter an Fassaden, Plakate am Straßenrand und an der Bushaltestelle orchestrieren ein visuelles Durcheinander, das das Bewusstsein aller penetriert, die seiner - meist unfreiwillig - ansichtig werden. Als beispielsweise 2004 während des Umbaus des Museum of Modern Art in New York Meisterwerke des Spätimpressionismus bis zur Gegenwart auf Reisen geschickt wurden, um für einige Monate in der Neuen Nationalgalerie Berlin präsentiert zu werden, lockte diese Ausstellung sage und schreibe 1,2 Mio. Besucher an. Um einem derartigen Ansturm gerecht zu werden, war das Museum zeitweise rund um die Uhr geöffnet, die Warteschlangen vor dem Gebäude von Mies van der Rohe wurden selbst zur Sehenswürdigkeit, 250.000 Kataloge wurden verkauft und - damit nicht genug - ein Jahr nach dem Spektakel publizierte der Verein der Freunde der Nationalgalerie einen Erinnerungsband in limitierter Auflage. Das magentarote Plakat war allgegenwärtig und warb doch im Grunde lediglich dafür, dass vornehmlich europäische Kunstwerke noch einmal aus der Neuen Welt zurück ins „Alte Europa“ gebracht worden waren. Zurück in New York begann das Ganze von Neuem: die Neueröffnung des für schlappe 858 Mio. Dollar umgebauten MOMA wurde zum Großereignis, die Feuilletons in aller Welt überschlugen sich, der japanische Stararchitekt Yoshio Taniguchi wurde in den Himmel gehoben und die Besucherzahlen haben sich seither vervielfacht – die Eintrittspreise auch. Peter Vahlefeld hat diese Phänomen zunächst in Berlin, dann in New York miterlebt und hat sich über die Penetranz gewundert, mit der sich Menschen, wie er selbst sagt, „freiwillig zum Affen machen“. Dem Künstler wie dem Kunstkonsument stellen sich dabei die gleichen Fragen:

Wie lässt sich erklären, dass durch wohl weltberühmte, aber deshalb doch auch altbekannte Bilder solche Menschenmassen mobilisiert werden können?

Was bringt Menschen, die sonst nur schwer ins Museum zu locken sind dazu, Gedränge und stundenlange Wartezeiten in Kauf zu nehmen?

Weshalb avanciert Malerei in einem solchen Fall zum Marketingschlager für Weltstädte wie New York und Berlin?

Wie erklärt sich der ungeheure Erfolg der Museumsshops, die mit ihren Kaffeetassen, Kugelschreibern und Mousepads im Grunde wenig Originelles zu bieten haben und dennoch ganz erheblich zum finanziellen Erfolg einer solchen Ausstellung beitragen?

Solche Überlegungen sind es, die Peter Vahlefeld interessieren und sich in seinen neuen Bildern wiederfinden. Er beobachtet die Art und Weise, wie sich die großen Museen dieser Welt öffentlich darstellen, wie, wo und wie viel sie im Stadtraum plakatieren, mit welcher Corporate Identity sie ihr Ausstellungsprogramm vermitteln oder auch nur wie ihre Eintrittskarten gestaltet sind. Museumsposter und die Angaben von Öffnungszeiten gehören ebenso zu seinem künstlerischen Material wie Quittungen von Bars und Restaurants aus den Metropolen der Welt. Unermüdlich befindet sich Peter Vahlefeld auf Reisen, auf der Suche nach neuen Eindrücken, die ihm die modernen Großstädte vermitteln, ob New York oder Paris, Madrid oder Berlin. Stets begleitet ihn seine Kamera und hält fest, was nur wenige Touristen als bildwürdig erachten, vom Schaufenster bis zu den obligatorischen Airline-Stilleben aus Perrierdosen, Plastikbechern, Erdnüssen.

Diese Motive finden sich collageartig in den Bildern von Peter Vahlefeld und sind integraler Bestandteil seiner starkfarbigen, abstrakten Farbkompositionen. Der Urvater dieser künstlerischen Technik ist bekanntlich Picasso, der die Collage in die Kunstgeschichte einführte, indem er seiner Malerei Zeitungsausschnitte oder abgerissene Flaschenetiketten beifügte und damit die alten Fragen nach Realität und Objektivität von Malerei radikal neu formulierte. Seither sind rund 100 Jahre vergangen und die Collage ist Teil unserer alltäglichen Sehgewohnheiten geworden, in der Kunst ebenso wie in der Werbegrafik. Es erübrigt sich deshalb, an dieser Stelle eine künstlerische Bezugnahme Peter Vahlefelds auf Picasso zu konstruieren. Wenn in seinen jüngsten Bildern wiederholt der Schriftzug PABLO und übermalte Harlekin-Figuren auftauchen, dann aus einem anderen Grund.

Ein Jahr nach den Schätzen des MOMA zog im Herbst 2005 „Pablo. Der Private“ in die Neue Nationalgalerie Berlin ein und nicht nur in der Ausstellung, nein, schon durch die Plakatierung im Stadtraum erfuhr man Interna von fragwürdiger Bedeutsamkeit. Ähnlich fragwürdig erschien die stilistische Sprachebene, mittels derer diese Interna verbreitet wurden. So stieß man auf Plakate, auf denen zu lesen stand: „Pablo konnte ein echte Klatschtante sein. Für die Portion Tratsch sorgte sein Freund, der Polizist. Schließlich wusste der doch am besten, was in der Stadt so los war. Und das war niemals langweilig.“ Das vielleicht nicht, mag man sich denken, aber womöglich eine Ausstellung, die von solch nichtssagenden Inhalten lebt. Doch Peter Vahlefeld beobachtete erstaunt, wie leicht derartige Bedenken von der Omnipräsenz der Plakate weggefegt wurden und auch in welch eigenartigem Missverhältnis das dürftige Konzept beispielsweise zum perfekten Design des Museumsshops stand. Zwar blieb die Frage unbeantwortet, was ein Miniaturcroissant aus Plastik dem Museumsbesucher über die Frühstücksgewohnheiten Picassos verrät, doch der Erfolg gab den Marketingstrategen recht. Nicht nur die großen Museen rücken mit ihrer Werbung seit einiger Zeit ins Visier von Peter Vahlefeld. In seinen neuen Bildern begegnet man gleichermaßen den Logos von internationalen Kunstauktionshäusern wie von Großunternehmen, deren Image durch das Engagement in Sachen Kunst aufgewertet werden soll und die in den zu Werbeträgern umfunktionierten Kunst- und Kulturmagazinen inserieren. Doch ob MOMA, Christies oder Deutsche Bank, der Künstler integriert ihre Werbemittel und prominenten Schriftzüge auf raffinierte Weise in seine Malerei, die von einer selbstbewussten, kraftvollen physischen Präsenz ist. Dabei bedient er sich der gesamten Klaviatur der heute verfügbaren technischen Möglichkeiten, indem er Farbe und Pinsel ebenso selbstverständlich nutzt wie elektronische Bildbearbeitungsprogramme.

Digitalisierte Museumsplakate, Flyer und Fotos bilden die motivische Ausgangsbasis der neuen Bilder von Peter Vahlefeld. Dieses Material bearbeitet der Künstler zunächst - seinen farblichen und kompositorischen Vorstellungen entsprechend - am Computer. Anschließend werden die einzelnen Bildteile ausgedruckt, zum Großformat zusammengefügt und auf die Leinwand geklebt. Die Ausdrucke bleiben dabei rasterartig sichtbar und dienen nicht nur als Bildträger, sondern werden zum Werkstoff, dessen besonderer Reiz in der Materialkombination mit Lacken, Bindern, Pigmenten und Ölfarbe liegt. Charakter und Qualität dieser genuin malerischen Mittel kennzeichnen die weitere Bearbeitung der zugrundeliegenden, digitalen Bildmotive. Durch wiederholtes Scannen, Ausdrucken und Übermalen werden die Bilder immer stärker verdichtet und abstrahiert. Dabei werden bestimmte Partien besonders akzentuiert, andere treten in den Hintergrund oder verschwinden gänzlich hinter der stellenweise betont dick oder großflächig aufgetragenen Farbe. Geschüttete Farbpartien, von denen aus mehrere Rinnsale bis zu einem gewissen Grad zufällig über die Leinwand laufen und markante, die Handschrift des Künstlers bezeugende Pinselstriche treffen mal mit einem gescannten Fotofragment, mal mit einem konkreten Schriftzug aufeinander.

Immer wieder gelingt es Peter Vahlefeld, sehr freie und souveräne Bildkompositionen zu entwickeln, die von hohem ästhetischen Reiz sind und ihre Wirkung voll ausspielen, ohne dabei alle Karten auf den Tisch zu legen. Wir beobachten in seinen Arbeiten ein beständiges Wechselspiel aus analog und digital, aus haptisch greifbarer, teilweise sperriger Farbmaterie und regelmäßig und glatt gedruckten Partien - aus real und virtuell, aus Sein und Schein. Und so tritt uns aus vielfach übermalten Farbschichten und einem vergangenen Jahrhundert doch noch einmal augenzwinkernd Picassos Harlekin-Figur entgegen und gibt dem genüsslichen Spiel des Künstlers mit Verwandlung und Verfremdung ein Gesicht.

Dr. Anuschka Koos